Nähe und Distanz bei Facebook

Lehrer und Schüler gemeinsam bei Facebook

Ein großes Thema mit viel Zündstoff in unseren Lehrerfortbildungen ist die Facebook-Freundschaft zwischen Lehrern und Schülern. Während manche von den Chancen schwärmen, wünschen sich andere ein strenges Verbot der Nutzung von Facebook in der Schüler-Lehrer Kommunikation. Wir versuchen einen konstruktiven Blick ...

Die ersten Verhaltensregeln für Lehrer bei Facebook tauchen nach und nach auf. Dass Lehrer mit privaten Partyfotos aufpassen sollen und nicht öffentlich bei Facebook über ihre Schüler herziehen sollen, ist zwar sehr richtig, erscheint uns als Ratschlag in dieser Diskussion ein wenig platt. Andere Guidelines für Lehrer sind so allgemein gehalten, dass sie effektiv für jeden Arbeitnehmer gelten. Im Rahmen von Lehrerfortbildungen und in der Arbeit mit Schulklassen haben wir von verschiedenen Fallstricken erfahren, aus denen hervorgeht, wie anspruchsvoll die Nutzung von Facebook im Bezug auf ein professionelles Schüler/Lehrer-Verhältnis in der Praxis ist. Im Folgenden wollen wir aus unseren Erfahrungen in Lehrerfortbildungen und Klassenseminare beschreiben, worauf Lehrer achten müssen und was es zu verhindern gilt.

Einfluss auf die Beurteilung der Schüler - Lehrer sind auch nur Menschen

Der Gedanke hinter der Nutzung sollte sein, die Kommunikation zu verbessern; Schüler lesen oft nur unregelmäßig ihre Emails, sind aber per Facebook erreichbar. Quasi "nebenbei" erfährt der Lehrer allerdings über die Profile und Statusmeldungen der Schüler mehr, als die Informationen in den privaten Facebook-Nachrichten geschrieben wird. Lehrer beschreiben, dass sie manches auffälliges Verhalten in der Schule anders beurteilen bzw. interpretieren, wenn sie von den betreffenden Schülern am Nachmittag Privates mitlesen. Manchmal erklärt sich das Schülerverhalten vor dem Kontext der Schilderungen bei Facebook. Es kann aber auch andersherum der Fall sein, dass auffälliges Verhalten bei Facebook dazu führt, dass der Schüler unbewusst genauer beobachtet wird – und so sein Verhalten mitunter anders gedeutet wird. Die Beurteilung der Schüler und das Notengebungsverfahren dürfen nicht beeinflusst werden durch Informationen aus dem Privatleben der Schüler. „Manchmal hätte ich manches lieber nicht gewusst“, befand eine Lehrerin, „und am Ende bin ich auch nur ein Mensch“.

Ein Lehrer entdeckte bei einem Schüler Fotos eines Saufgelages. Nach kurzer Recherche fand er auch bei zwei weiteren Mitschülern entsprechende Fotos. Er fühlte sich in seiner Rolle als Lehrer, der hier im Datenmüll seiner Schüler herumwühlt aber so unwohl, dass er die Recherche beendete. Am nächsten Morgen hatte er aber das Bedürfnis, die Schüler zu bitten, entsprechende Bilder zu löschen. Problematisch war dabei, dass andere Schüler, die ebenfalls vergleichbare Fotos veröffentlicht haben, nicht angesprochen wurden – weil der Lehrer diese Bilder gar nicht gefunden hatte. Die Schüler hingegen hatten dadurch das Gefühl, dass der Lehrer nur seinen Lieblingsschülern helfen wollte, die anderen seien ihm egal gewesen.

Lehrer sind nicht die Pausenaufsicht bei Facebook

In einem anderen Beispiel hatten Schüler eine Mitschülerin mehrfach in einem sozialen Netzwerk beleidigt und mit sehr intimen Bildern bloßgestellt. Die Klassenlehrerin war mit allen Beteiligten „befreundet“ und hätte somit theoretisch die gesamte Kampagne mitbekommen haben können – was aber nach eigenem Bekunden nicht der Fall war. Der Vorwurf der Eltern war, dass die Lehrerin dies bewusst geduldet habe. Nicht selten entsteht der Vorwurf, dass Lehrer von problematischem Freizeitverhalten gewusst hätten, aber nicht reagiert hätten.

Dies gilt natürlich nicht nur für Eltern, sondern auch für Schüler. Es kann sogar soweit kommen, dass Schüler das Gefühl haben, von ihren Lehrern indirekt bei Facebook betreut zu werden. Im Sinne von „wenn das echt ein Problem wäre, hätte mein Lehrer mir das schon geschrieben“ kann es passieren, dass Jugendliche aus diesem Gefühl der sanften Kontrolle heraus Dinge schreiben und veröffentlichen, die sie sonst nicht geschrieben hätten. Dabei schließen Schüler oft von ihrem Nutzungsverhalten auf das ihrer Lehrer und gehen davon aus, dass die Lehrer wie sie selbst aus Neugierde alles lesen und nichts verpassen wollen, während sich die Lehrer oft ausschließlich um ihre privaten Nachrichten kümmern. Die Neugierde der Lehrer wird von den Schülern oft überschätzt. Viele Schüler schließen instinktiv von sich und ihrem Freizeitverhalten bei Facebook auf ihre Lehrer. Demnach würden die die Lehrer, „wenn sie nichts zu tun haben bei Facebook andere Profile stalken“. Eine Lehrerin entgegnete einer Schülerin in diesem Zusammenhang: „Ich habe gar keine Zeit, euren ganzen Kram zu lesen“. Die Schülerin regierte fast gekränkt: „Interessieren wir Sie denn gar nicht?“

Lehrer müssen wissen, dass sie nichts wissen

Lehrer dürfen nicht das Gefühl haben, bei Facebook mitzubekommen, was unter den Schülern „wirklich abgeht“. Sie bekommen nur das mit, was sie mitbekommen. Oft beschreiben Lehrer, dass Facebook die Lebenswelt der Schüler sei, an der sie als Lehrer dann teilhaben können. Das allerdings ist in Frage zu stellen. Es handelt bei Facebook nicht um die Lebenswelt der Schüler, sondern um einer Interpretation des Lehrers von dem, was er auf dem Bildschirm sieht. Diese Interpretation kann nicht immer realistisch sein und darf nicht überschätzt werden. Manches wirkt schwarz auf weiß geschrieben drastischer, als wenn es lediglich gesagt worden wäre. Für eine Diskussion unter Schülern auf dem Schulhof würde sich ein Lehrer weniger interessieren. Auf dem Bildschirm können die gleichen Worte aber als massiver Angriff interpretiert werden.

Generell sollte die Empfehlung lauten: Recherchieren gehört sich nicht – und lohnt nicht! Selbst wenn die Schüler mit ihren Daten offensichtlich zu lax umgehen, sollte dies nicht ausgenutzt werden. In einem Gespräch mit der Klasse sollte im Gegenteil erarbeitet werden, wie sich die Schüler gegenüber ihrem Lehrer ihr Privates bewahren können. Die Verwendung von Freundschaftslisten bspw. bietet die Möglichkeit, dass die Schüler alle eine Liste „Lehrer“ anlegen, in die die Lehrer eingeordnet werden. Bei allen privaten Bildern muss das die Einstellung „das vor folgenden Personen verbergen: Liste Lehrer“ in der individuellen Privatsphäre vorgenommen werden. Was hier kompliziert klingt, ist aber letztendlich ein sehr wichtiger Mechanismus: wer früh lernt, dass es nötig ist, individuell seine Privatsphäre vor unterschiedlichen Menschen zu schützen, wird das später im Berufsleben auch können.

In der Diskussion mit Schülern hören wir allerdings oft, dass Facebook ohnehin privat wäre und „dieser Kram mit den Listen viel zu kompliziert“ wäre. Viele haben nicht das Interesse, ihre Postings nach Zielgruppen zu unterteilen. Aus diesem Grund müsste diesen Schülern eigentlich empfohlen werden, Lehrer pauschal nicht als Freunde zu akzeptieren.

Eltern sind oft nicht begeistert von „Facebook-Lehrern“

Ein Lehrer sollte nicht generell davon ausgehen, dass tatsächlich die gesamte Klasse Facebook nutzt. Nach unseren Erfahrungen sind auch in den Jahrgangstufen 8 und 9 einzelne Schüler nicht bei Facebook. Manche Jugendlichen dürfen nicht, weil es die Eltern verboten haben, manche wollen nicht und manche können nicht, weil die Ressourcen zu Hause fehlen. Diese Schüler dürfen nicht benachteiligt oder ausgegrenzt werden. Das Gefühl, ausgegrenzt zu werden, selbst wenn es nicht so ist (im Sinne von „ich verpasse ohnehin schon so viel, und jetzt auch noch die Schule“), muss dabei berücksichtigt werden.

In einem problematischen Fall hatte ein Lehrer alle Freundschaftsanfragen seiner Schüler angenommen. Der relativ junge Sportlehrer wurde in erster Linie von Schülerinnen der 9. und 10. Jahrgangsstufe „geaddet“. So entstand das Bild eines Lehrers, der mit lauter hübschen Mädchen befreundet ist, die ihm bspw. alle bei Facebook zum Geburtstag gratulierten. An dieser Stelle wendeten sich die Eltern an die Schulleitung, weil bei diesem Lehrer ein offensichtliches „Beuteschema bei Facebook“ zu erkennen war. Wer sich mit Netzwerkkultur sozialer Netzwerke auskennt, hätte diesen Fall sicher anders beurteilt. Genau das kann derzeit bei Eltern nicht generell vorausgesetzt werden. Befeuert wird diese Problematik sicher durch die negative mediale Berichterstattung über Lehrer bei Facebook.

Hier empfehlen wir generell die Eltern mit einzubeziehen, wenn sich ein Lehrer für die aktive Nutzung von Facebook in der Schüler-Lehrer-Kommunikation entscheidet. In Elternabenden sollte informiert werden, mit welcher Zielsetzung Facebook vom Lehrer in seiner Rolle als Lehrer nutzen möchte. Eventuell können so Bedenken von Eltern ausgeräumt werden, wenn die Chancen als Konsens überwiegen. Genauso wichtig ist allerdings, zu berücksichtigen, wenn die Eltern es nicht wollen.

Zwei Profile sind nicht authentisch – oder doch?

Viele Lehrer, die Facebook bereits privat nutzen, richten sich ein zweites Profil für ihre Funktion als Lehrer an. Dies wird zwar eigentlich von Facebook in den AGBs ausdrücklich untersagt, bietet aber sich einige Chancen des Privatsphärenschutzes. Ob ein zweites Profil notwendig ist, hängt somit ganz maßgeblich davon ab, ob der betreffende Lehrer überhaupt ein privates Profil nutzt. Nicht selten passiert es, dass jemand ohne Facebook-Profil sich für deine Rolle als Lehrer anmeldet, dann von privaten Kontakten außerhalb der Schule oder auch Kollegen gefunden wird. Aus nachvollziehbaren Gründen werden dann Freundschaftsanfragen anderer nicht ablehnt. Schnell verschwimmen die Grenzen – vor allem, wenn durch diesen Zugang zu Facebook am Ende aus dem professionellen Lehreranspruch ein enthusiastischer Facebook-Nutzer wird.

Konsequenterweise sollten dann von vorne herein zwei Profile angelegt werden, selbst wenn das private nicht genutzt wird. Nur wer sich absolut sicher ist, Facebook nicht privat nutzen zu wollen, kann auch diesen Schritt verzichten.

Oft empören sich Schüler über ein zweites Profil, weil dieses nicht „authentisch“ sei. Dem sei gegenübergestellt, dass es dem Lehrer eben eventuell gar nicht darum geht, „authentisch“ zu sein, sondern die Schüler zu informieren.

Sind wir Freunde oder einfach nur eine Gruppe?!

Spätestens an diesem Punkt ist in Frage zu stellen, ob eine Freundschaft überhaupt sein muss. Die „Freundschaft“ zwischen zwei Menschen ist nur eine von vielen Möglichkeiten bei Facebook, miteinander zu kommunizieren oder in Kontakt zu stehen. So können Klassengruppen gegründet werden, in denen dann Personen gemeinsam diskutieren, ohne befreundet zu sein. Diese sollten dann als geschlossene Gruppe angelegt werden, in die dann die einzelnen Mitglieder aus der Gruppe heraus hinzugefügt werden müssen. Hier gibt es außerdem die Möglichkeit, gemeinsame Veranstaltungen (Klassenausflüge etc.) zu planen oder Dateien und Fotos für diese Gruppe hochzuladen.

Außerdem können nicht nur „Freunde“ bei Facebook kommunizieren. In den Privatsphäreeinstellungen sollte beim Lehrer die Einstellung „Wer kann dir Facebook-Nachrichten senden“ statt „Freunde“ „Alle“ vorgenommen werden. So kann er von seinen Schülern angeschrieben werden, ohne befreundet zu sein.

Es muss auch einfach mal Feierabend sein

Lehrer berichten, dass sie von ihren Schülern zu jeder Tages- und Nachtzeit unter Beschlag genommen werden. Fragen im Sinne von „Wie soll ich meinen Roller tunen, Sie sind doch Physiklehrer“ sind dabei recht einfach beiseitezuschieben. Schwieriger wird das Abgrenzen bei Liebeskummer oder Notlagen wie „XY aus der 9B trinkt und kifft, was sollen wir machen?“ Dabei muss berücksichtigt werden, dass Schüler unter Umständen dem niedrigschwellig wahrgenommenen Internet ihren Lehrern Dinge mitteilen, die sie von Angesicht zu Angesicht nicht gesagt hätten – was sie dann am nächsten Tag nicht selten bereuen. Hinzu kommt, dass Schüler bei Facebook unter Umständen eine Schriftsprache verwenden, die nicht der erwarteten Höflichkeit seitens des Lehrers entspricht. Ebenso kann es Lehrern passieren, dass ein zu kumpelhafter Ton bei Facebook Rollen verschwimmen lässt. Hier kann auch bspw. Alkohol am Wochenende bei Schülern eine Rolle spielen – was aber beim Lesen einer Nachricht nicht unbedingt ersichtlich ist. Facebook kennt keine Arbeitszeiten, Abgrenzung ist hier nicht immer einfach, aber aus Gründen der Professionalität nötig. Schüler reagieren sehr sensibel, wenn sie mit ihren eigenen Problemen abgelehnt werden, aber erfahren, dass andere Anfragen sehr wohl beantwortet wurden.

Der Lehrer muss vor allem an dieser Stelle gegenüber seinen Schülern immer wieder sehr deutlich machen, dass er unter seinen Schülern bei Facebook am Ende doch ein „Anderer unter Gleichen“ ist. Die Schüler müssen begreifen, dass es für einen Lehrer Arbeitszeit ist, wenn er mit ihnen bei Facebook kommuniziert. Das macht seine Anwesenheit eventuell auch Sicht der Schüler weniger attraktiv („der schreibt ja nur mit uns, weil er dafür Geld bekommt“), gehört aber definitiv zu einer professionellen Beziehung zwischen Lehrern und Schülern. Dieses Phänomen ist nicht generell neu, aber nach 13 Uhr haben sich traditionell Schüler und Lehrer weniger begegnet, als dies bei Facebook der Fall wäre.

Zwischen blindem Aktionismus und ignoranter Verteuflung …

… liegt vermutlich wie so oft die Lösung in der Mitte. Notwendig erscheint uns aber ein individuelles Konzept, das die eigenen Wünsche und Bedürfnisse berücksichtigt. Viele der beschriebenen Probleme lassen sich lösen, wenn die Privatsphäre-Einstellungen sozialer Netzwerke verstanden und zielführend genutzt werden. Facebook bietet an dieser Stelle oft mehr an, als allgemein angenommen wird. Kenntnisse über Gruppen, Fanseiten oder auch Kontakte ohne Freundesbeziehung müssen vorhanden sein. Mitunter kann es auch hilfreich sein, die Schüler als Experten damit zu beauftragen, die einzelnen Wege herauszufinden und zu beschreiben.

Je jünger die Schüler, desto wichtiger sind die Eltern. Facebook ist laut AGB für Menschen ab 13 Jahren. Dies schließt einige Klassenstufen in der Regel generell aus. Wenn deutlich wird, dass die Klassen bzw. die einzelnen Schüler von dem Angebot des Lehrers, Facebook zu nutzen, profitieren, kann hier an einem Strang gezogen werden und ein Großteil der genannten Missverständnisse von vorneherein ausgeräumt werden.

Am Wichtigsten ist immer wieder, der Klasse transparent zu machen, auf was sich die Schüler einlassen, wenn sie bei Facebook unterwegs sind und mit ihren Lehrern kommunizieren. Gegen den Willen der Klasse sollte keine Kommunikation aufgezwungen werden. Auch hier muss mit viel Sensibilität darüber diskutiert werden, was den Lehrer etwas angeht und was nicht. Hier liegt dann vermutlich auch die größte Chance: Wenn ein Schüler in der Schule lernt, in sozialen Netzwerken mit seinen Lehrern zu kommunizieren und dabei dennoch sein Privatleben außen vor zu lassen, dann wird er genau das später im Berufsleben auch können.

Richtig und Falsch ist derzeit vermutlich schwer zu definieren. Wir freuen uns deshalb über Rückmeldungen und über weitere Erfahrungen, die an Schulen mit Facebook gemacht wurden um diesen Artikel ggf. auch weiter zu bearbeiten!

Dieser Beitrag wurde am 16.08.2013 verfasst.
... mehr Termine

Kontakt ...
Tel. 0511 / 165 97 848-0
Fax 0511 / 165 97 848-9
info@smiley-ev.de
mehr unter Kontakt



Newsletter ...
Tragen Sie sich in unseren Newsletter ein, um regelmäßig über unsere Arbeit informiert zu werden!
eintragen

zum vollständigen Pressespiegel

Kooperation

Projekte ...

smiley e.V. ist Mitglied im




Soziale Medien