Netzkultur

Jugendliche nackt im Netz

In unserer Arbeit mit Schulklassen tauchen immer wieder Fälle von bloßgestellten Mitschülern und Mitschülerinnen auf. Dabei spielen nicht selten Nacktbilder eine große Rolle. Doch oft ist die Reaktion seitens der Eltern oder auch der Schule ein entscheidender Faktor, wie gut oder schlecht es den Betroffenen mittelfristig geht.

Es gibt derzeit keine eindeutigen Studien, wie viele selbsterstellte Nacktbilder unter Jugendlichen verschickt werden bzw. wie normal das Erstellen von solchen Bildern tatsächlich ist. Sich nackt zu fotografieren kann unterschiedliche Ursachen haben. Einen ganz simplen Grund nannte eine Schülerin im Rahmen eines Klassenworkshops „Du willst halt wissen wie du nackt aussiehst. Dann machst du eben ein Foto mit einem Handy“. Das Handy wird so zum Spiegelersatz. Was hinter dem Reiz, sich in Ruhe auf dem Handy nackt betrachten zu wollen anstelle einen klassischen Spiegel zu nutzen, mag mehrere Gründe haben, soll aber hier nicht erörtert werden. Mitunter mögen es ästhetische Gründe sein. Eine Schülerin eines elften Jahrgangs beschrieb, dass sie mit ihrer Freundin gemeinsam mit ihren Pferden unterwegs war – was dann spontan zum Fotoshooting wurde. „Wir hatten mal so Bilder von Models auf ihren Pferden bei Sonnenuntergang gesehen. Das sah total schön aus, da haben wir solche Bilder auch gemacht.“ Gegenseitig fotografierten sie sich mit ihren Handys vor romantischem Hintergrund nackt auf dem Pferd. Für sich genommen wäre dies kein Problem gewesen. „Ich hatte diese Bilder dann halt auf meinem Handy. Ein paar Jungen aus meiner Klasse haben die Bilder dann zufällig gesehen, als ich mein Handy im Klassenraum liegengelassen habe.“ Das Ergebnis war, dass diese Jungs aus Spaß die Bilder bei Facebook teilten.

Grausame Logik: „Selber schuld“

Nach wie vor sind viele Smartphones nicht ausreichend mit Passwortschutz oder vergleichbaren Sicherungssystemen geschützt. Es kommt immer wieder vor, dass Handys verlorengehen, gestohlen oder einfach kurz verliehen werden. Warum solche Bilder anscheinend ohne Unrechtsbewusstsein verbreitet werden, erklären Schüler unterschiedlich „Man sagt ja ‚Gelegenheit macht Diebe‘, und so ist das bei solchen Bildern auch.“. Nicht selten werden Schuldzuweisungen gegenüber denen ausgesprochen, die eigentlich Opfer sind: „Es ist schon ganz schön blöd solche Bilder auf dem Handy zu haben. Da darf man sich dann nicht wundern, wenn die öffentlich werden.“

Vielleicht ist diese recht grausame Logik das größte Problem in diesem Zusammenhang. So erlebte es Anfang des Jahres eine vierzehnjährige Schülerin einer Schule, in der wir die Schulsozialarbeiterin berieten. In diesem Falle hatte sie ihrem Freund ein Nacktbild von sich geschickt. Als sie dann Wochen später die Beziehung zu ihm beendete, verschickte dieser das Bild erst per Whatsapp, bis es dann letztendlich auch bei Facebook landete. In diversen Kommentaren wurde sie als fett, hässlich und Schlampe beschimpft. Das Mädchen traute sich nicht mehr zur Schule und suchte vorerst Hilfe bei den Eltern. Was sie hier zu hören bekam, wirkte dann allerdings eher wie ein Messer im Rücken, als wie eine erhoffte Rückenstärkung: „Wie kannst du so blöd sein und dem so ein Bild schicken“ war sinngemäß die unmittelbare Reaktion der Eltern „das hätten wir dir gleich sagen können, dass das so endet“. Nun war sie nicht nur blamiert, sondern auch vollends allein. Wer so zum Täter gemacht wird, wird sich unter Umständen auch anderswo keine Hilfe suchen.

Solche Reaktionen sind leider nach unserer Erfahrung nicht selten - nicht nur von Eltern, sondern auch von Schulen oder anderen Einrichtungen von denen sich Jugendliche Hilfe erhoffen. Natürlich hätte das Mädchen die Katastrophe verhindern können (was sie sicher selbst weiß), aber dennoch ist sie nicht die Schuldige. Jeder Mensch hat ein Recht darauf, nicht bloßgestellt zu werden - egal was für freizügige Bilder es von ihm gibt oder wie viel Angriffsfläche er bietet!

Auffangen und Aufbauen

Dass es auch anders geht, erlebten wir in einem etwas anders gelagerten Fall. Im Rahmen des Schwimmunterrichts fotografierten Schüler einen Mitschüler heimlich unter der Dusche. Hintergrund war, dass die Klasse ihre Wertsachen, also auch Handys, mit in die Schwimmhalle nahm, um sie dort an einem sicheren Ort als in der Umkleidekabine zu deponieren. In der Regel wurden nach dem Schwimmen die Handys mit in die Umkleidekabine genommen und anschließend geduscht. Ein Schüler vergaß sein Handy und holte es zu dem Zeitpunkt aus der Schwimmhalle, als die Klasse schon unter den Duschen stand. Hier kam auch wieder der „Gelegenheit macht Diebe“-Aspekt zum Tragen, als der Schüler „nur mal so zum Spaß“ in die Dusche hinein fotografierte – und einen Schüler in Nahaufnahme erwischte. Auch hier fand das Bild seinen Weg ins Netz und auch hier fühlte sich der betroffene Schüler nicht in der Lage, weiterhin zur Schule zu gehen. Im großen Unterschied zum vorherigen Beispiel hat hier aber der Vater des Jungen spontan drei Tage Urlaub genommen und ist mit seinem Sohn in einen Kurzurlaub verschwunden, um seinen Sohn wieder aufzubauen und gleichzeitig in mehrfacher telefonischer Absprache mit dem Klassenlehrer zu beraten, was nun zu tun sei. Drei Tage später traute sich der Schüler vor seine Klasse mit den Worten: „Ihr habt mich jetzt alle nackt gesehen. Ganz ehrlich: hat euch da irgendwas überrascht oder ist da irgendwas Besonderes bei dem Bild?“ Die Klasse saß ihm gegenüber und bemerkte, in was für eine lächerliche Situation die gesamte Klasse geraten war. Der Schüler war unmittelbar „rehabilitiert“, wenn dieser Begriff hier überhaupt passt – selbst wenn das Bild noch irgendwo im Netz kursiert, spricht kaum jemand mehr darüber. Auch wenn dieser Schüler es sicher einfacher hatte, weil er nicht so leicht in eine „selber schuld“-Rolle gedrängt werden konnte, wird deutlich, wie entscheidend es ist, betroffene Kinder und Jugendliche aufzufangen und ihnen den Rücken zu stärken. Voraussetzung ist allerdings, dass das Bloßstellen der Bilder nicht so etwas wie ein Puzzleteil eines größeren Mobbingkonstrukts ist. Denn wenn hier Kinder oder Jugendliche ohnehin gemobbt werden und das Bloßstellen hierfür Mittel zum Zweck ist, liegen die Ursachen tiefer. Das Thematisieren der Nacktbilder greift hier zu kurz.

Dennoch: es geht nicht um Nacktbilder, gerade in der Prävention muss es vielmehr um das Recht eines jeden gehen, nicht bloßgestellt zu werden – selbst wenn es Nacktbilder gibt! Oder mit den Worten einer Siebtklässlerin: „Eigentlich finde ich die Leute viel peinlicher, die Nacktbilder von anderen verschicken, als die, die sie von sich machen!“

Mittlerweile ist es verboten, "unbefugt von einer anderen Person eine Bildaufnahme, die geeignet ist, dem Ansehen der abgebildeten Person erheblich zu schaden“ zu verbreiten (§201a StGB). Ein Beitrag dazu ist hier zu finden.

Dieser Beitrag wurde am 01.11.2013 verfasst und am 03.03.2015 überarbeitet.
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